Wildtierpflege - who cares? Ein offener Brief an Politik und Behörden

Verfasser: Interessengemeinschaft Hessischer Wildtierpfleger (IGHW)

Offener Brief nachrichtlich an hessische Print- und Onlinemedien

 

Hess. Ministerium für Umwelt,
Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Abt. V, Dr. Birgit Straubinger
Hess. Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie
Abt. N, Christian Geske

 

RP Kassel, Abt. II
RP Gießen, Abt. V
RP Darmstadt, Abt V

 

 Bad König, 18. März 2021

Wildtierpflege in Hessen – who cares?!


Sehr geehrte Frau Dr. Straubinger,
sehr geehrter Herr Geske,
sehr geehrte Damen und Herren,

nicht nur in Hessen, sondern bundesweit machen die Pflegestellen und Auffangstationen schon seit Jahren auf eine untragbare Situation aufmerksam: Die Zahl der hilfsbedürftigen Wildtiere, insbesondere derer, die aufgrund anthropogener Einflüsse in Not geraten, steigt stetig und mit ihr die behördliche Willkür und das politische Desinteresse.

Die Fürsorgepflicht des Landes für kranke, verletzte und hilflose Wildtiere leitet sich klar aus der Staatszielbestimmung und dem Bundesnaturschutzgesetz (§ 45 Abs. 5) ab. In Artikel 20 a GG verpflichtet sich der Staat, auch die Tiere zu schützen – Haus-, „Nutz“- und Wildtiere gleichermaßen. Diese Aufgabe wird in Hessen jedoch nach wie vor in erster Linie von Ehrenamtlern wahrgenommen – auf eigene Kosten, mit viel Engagement und einem immensen Zeitaufwand: „Rund-um-die-Uhr“- Versorgung der Tiere, telefonische Erreichbarkeit für Finder an 365 Tagen im Jahr mit nicht selten über 100 Anrufen täglich, Koordination von Fund, Bergung und Transport, Wildtierkonfliktberatungen, Spendenakquise, Klärung unklarer rechtlicher Sachverhalte und etliches mehr.

Dass aufgrund dieses Pensums die Zahl der Stationen und Pflegestellen eher ab- als zunimmt, liegt auf der Hand und sorgt zusätzlich für enorme Belastungen. Trotz der umfassenden und wichtigen Präventionsarbeit, die viele Wildtierpflegestellen zusätzlich leisten, werden allein in Hessen jedes Jahr mehrere Tausend hilfsbedürftige Wildtiere an entsprechende Pflegestellen abgegeben.

Selbst Auffangstationen mit geringen Kapazitäten müssen monatliche Kosten von 1- bis 2.000 Euro stemmen, ausschließlich mittels Spenden und Privatvermögen. Man sollte also annehmen, dass seitens des Landes ein Interesse bestünde, dieses freiwillige Engagement zu fördern – wenn schon nicht finanziell, so doch zumindest, indem man dessen Ausübung nicht mittels Restriktionen erschwert oder blockiert.

Überdies sollte es selbsterklärend sein, dass man Bereitschaft, Qualität und Leistungsfähigkeit in diesem wie in jedem anderen Ehrenamt nur dann in umfangreichem Maß einfordern und in Anspruch nehmen kann, wenn ihm im Gegenzug die entsprechende Unterstützung und Wertschätzung zuteil wird.

Die Realität stellt sich für die Wildtierpfleger leider anders dar. Es sind oftmals dieselben Behörden, die sich wie selbstverständlich der unentgeltlichen Pflege- und Beratungsleistungen der Auffangstationen bedienen, die dann im Gegenzug bis zu 500 Euro für ein fragwürdiges Zulassungsverfahren in Rechnung stellen, die Vorlage eines Sachkundenachweises verlangen, den es in Hessen noch immer nicht gibt, und sie mit zunehmend abstrusen administrativen Verpflichtungen konfrontieren.

Zugleich variieren diese Auflagen von Landkreis zu Landkreis und Regierungsbezirk zu Regierungsbezirk und fallen auch nach jedem Personalwechsel innerhalb der Ämter noch einmal anders aus. Einheitliche Bewertungskriterien sucht man hier als Ehrenamtler vergebens, geschweige denn „eine Stärkung des Ehrenamts mithilfe geeigneter Rahmenbedingungen“ wie es das Bundesministerium proklamiert. 2018 hat ein Großteil der hessischen Wildtierpfleger aus der Not eine Tugend gemacht und sich „Interessengemeinschaft Hessischer Wildtierpfleger“ (IGHW) zusammen-geschlossen. Was Aufgabe des Landes gewesen wäre, wurde hier in Eigenregie in die Tat umgesetzt:

  • Praxisnahe Pflegeleitfäden und qualitative Standards wurden formuliert, zu deren Einhaltung sich jede der rund dreißig angeschlossenen Pflegestellen verpflichtet hat,
  • außerdem ein Konzept erarbeitet, das einheitliche Sachkundeprüfungen und Weiterbildungsmöglichkeiten für (zukünftige) Wildtierpfleger sowie Broschüren und Vorträge für Tierheime, Tierärzte und eine interessierte Öffentlichkeit inkludiert.
  •  Eine Bestandsbuchsoftware wurde entwickelt, die den Wildtierpflegern demnächst kostenfrei zur Verfügung stehen wird.
  •  Das Netzwerk, zu dem auch Biologen, Forschungsinstitute, Natur- und Tierschutzverbände zählen, wächst stetig.

Und dennoch müssen wir feststellen, dass den wohlmeinenden Worthülsen so manches Behördenvertreters über unsere Arbeit keine Taten folgen und wir immer wieder bei Projekten und politischen Entscheidungen, die Wildtierpflege betreffend, übergangen werden. Je mehr wir uns professionalisieren, desto mehr entsteht bei uns der Eindruck, dass sowohl die Tätigkeit als auch die Ausübenden ein Störfaktor sind, dessen man sich mittels Gängeleien, Verboten sowie enormen finanziellen und administrativen Ansprüchen entledigen möchte.

Welch hohen Nutzen eine gleichwertige Zusammenarbeit zwischen Wildtierpflegern, Behörden, Tierärzten und Biologen hat, zeigen die wenigen rühmlichen Ausnahmen. Veterinärämter und Untere Naturschutzbehörden, die einen engen Austausch mit „ihren“ Stationen pflegen, in Einzelfällen sogar Futterkosten übernehmen und jederzeit gewillt sind, gemeinsam mit den Wildtierpflegern praktikable Lösungen für einzelne Problemstellungen zu finden. Biologen und Forschungsinstitute, die den Wert des praktischen Erfahrungshorizonts der Wildtierpfleger erkannt haben, den Informationsaustausch mit ihnen suchen und gemeinsam an Projekten arbeiten.

Es ist Zeit, dass diese rühmlichen Ausnahmen zur Regel werden!

Zeit für:

  • ein Ende von Ignoranz und Desinteresse
  • die Anerkennung, Förderung und den weiteren Ausbau eines bereits existierenden flächendeckenden und funktionalen Netzwerkes an Wildtierstationen in Hessen.
  • die Etablierung einheitlicher und praxistauglicher Bewertungskriterien und Standards - eine gemeinsame und stetige Professionalisierung ALLER an der Versorgung und Rehabilitation von hilfsbedürftigen Wildtieren Beteiligten.
  • eine synergetische Kooperation von Tier- und Artenschützern im Sinne des Erhalts der Artenvielfalt.
  • ein Gespräch? Wir sind bereit!

In diesem Sinne freuen wir uns auf ein Zeichen von Ihnen und verbleiben,

mit freundlichen Grüßen

Der Sprecherrat des IGHW

 

 

 

 

 

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